Hermann Hesse über Nutzen und Schwierigkeiten des „Eigensinns“ Nach

 
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Nach einigen familiären und persönlichen Krisen, sowie dem Ende 1. Weltkrieg, welcher ihm zu einem entschiedenen Kriegsgegner gemacht hatte, schrieb Hermann Hesse 1918/19 seine Gedanken in einem längeren Essay mit dem Titel: „Eigensinn macht Spass“ auf.

Hier kurze Auszüge aus diesem, heute noch aktuellen, Text:

„ Es scheint wirklich dem Menschen nur die eine Hoffnung gegeben, zwar nicht die Welt und die anderen, aber wenigstens sich selber einigermaßen ändern und bessern zu können, und auf denen, die das tun, beruht im Geheimen das Heil der Welt.

Verzichten Sie darauf, sich an den unlösbaren Fragen müde zu grübeln. Unlösbar sind die Fragen nach dem Wesen Gottes oder des Weltgeistes, nach Sinn und Lenkung des Universums, nach der Entstehung der Welt und des Lebens. Das Denken und Debattieren darüber kann ein schönes und interessantes Spiel sein, zur Lösung unserer Lebensprobleme führt es nicht.

Sie sind in die Welt gestellt, ohne zu wissen warum. Ihr Leben und Ihre Gaben, die der Sinne und die des Geistes, zur Reife und möglichsten Vollendung zu bringen, darin liegt der Sinn Ihres Lebens, und je besser Ihnen das gelingt, desto glücklicher werden Sie sein. Dass die Mehrzahl der Menschen weniger differenziert und begabt ist, dass die Meisten gar kein eigenes Leben und Denken haben, sondern stets als Masse leben und handeln, haben Sie ja schon selbst erkannt. Wir können das nicht ändern, es wird immer so sein. Im Gegenteil: Je rascher sich die Menschheit vermehrt und je mehr technische Mittel sie besitzt, desto mehr wird sie verflacht und zum gleichförmigen Kollektiv werden. Für die Menschheit als Masse besteht die Aufgabe des Lebens nur in der möglichst reibungslosen Eingliederung und Anpassung, im Herabschrauben der persönlichen Verantwortlichkeit auf ein Minimum.

Wir anderen, die stets kleine Zahl der zu einem persönlichen, individuellen Leben Befähigten und Berufenen, haben vor der Masse die zarteren Sinne und die größere Denkfähigkeit voraus, und diese Gaben können und sehr viel Glück verschaffen. Wir sehen, hören, fühlen, denken genauer, empfänglicher, reicher an Nuancen, aber wir sind auch einsam und gefährdet. Wir müssen auf das Glück der verantwortungslosen Masse verzichten. Jeder von uns muss über sich selbst, über seine Gaben, Möglichkeiten und Eigenheiten Klarheit suchen und sein Leben in den Dienst der Vervollkommnung, der Selbstwerdung stellen. Wenn wir das tun, dann dienen wir auch zugleich der Menschheit, denn alle Werte der Kultur (Religion, Kunst, Dichtung, Philosophie, etc.) entstehen auf diesem Weg. Auf ihm wird der oft verlästerte “Individualismus” zum Dienst an der Gemeinschaft und verliert das Odium des Egoismus.“

….. „

Eine Persönlichkeit, ein einmaliger, eigener Mensch zu werden, ist nicht Jedem bestimmt, der Weg dahin hat Gefahren und bringt Schmerzen, er bringt aber auch Glück und Tröstungen, die die anderen nicht kennen.

Ängstigen Sie sich nicht zu sehr, fliehen sie weder ins Kindliche zurück noch nach vorwärts in Trotz und Schnoddrigkeit, es würde Ihnen beides nichts nützen. Sagen Sie Ja zum Besten und Stärksten in Ihnen, dann geht es schon weiter.“

……

„ Der Mensch mit jenem »Eigensinn«, den ich meine, sucht nicht Geld oder Macht. Er verschmäht diese Dinge nicht etwa, weil er ein Tugendbold und resignierender Altruist wäre - im Gegenteil! Aber Geld und Macht und all die Dinge, um derentwillen Menschen einander quälen und am Ende totschießen, sind dem zu sich selbst gekommenen Menschen, dem Eigensinnigen, wenig wert. Er schätzt eben nur eines hoch, die geheimnisvolle Kraft in ihm selbst, die ihn leben heißt und ihm wachsen hilft. Diese Kraft kann durch Geld und dergleichen nicht erhalten, nicht gesteigert, nicht vertieft werden. Denn Geld und Macht sind Erfindungen des Mißtrauens. Wer der Lebenskraft in seinem Innersten mißtraut, wem sie fehlt, der muß sie durch solche Ersatzmittel, wie Geld, kompensieren. Wer das Vertrauen zu sich selber hat, wer nichts anderes mehr wünscht, als sein eigenes Schicksal rein und frei in sich zu erleben und ausschwingen zu lassen, dem sinken jene überschätzten, tausendmal überzahlten Hilfsmittel zu untergeordneten Werkzeugen herab, deren Besitz und Gebrauch angenehm, aber nie entscheidend sein kann.“

(aus Hermann Hesse: Eigensinn macht Spass. Insel Taschenbuch)